Virtuelle Eigentümerversammlungen: Vorteile und Herausforderungen

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Die virtuelle Eigentümerversammlung eröffnet Eigentümern die Möglichkeit zur Teilnahme an Versammlungen, ohne physisch vor Ort sein zu müssen. Im Interview erklärt Martin Kaßler, Geschäftsführer des Verbands der Immobilienverwalter Deutschland (VDIV), wie die geplante Einführung dieser Option die Arbeitsweise von Wohnungseigentümergemeinschaften grundlegend vereinfachen kann.

Der VDIV hat sich zuletzt für die Einführung der sogenannte virtuellen Eigentümerversammlung stark gemacht. Was sind aus Ihrer Sicht die wichtigsten Vorteile von virtuellen Eigentümerversammlungen im Vergleich zu herkömmlichen Präsenzversammlungen?

Martin Kaßler: Die virtuelle Eigentümerversammlung bietet in der Tat einige entscheidende Vorteile im Vergleich zur traditionellen Präsenzversammlung. Sie ermöglicht maximale Flexibilität bei der Organisation einer Eigentümerversammlung. Dies bedeutet, dass Eigentümer unabhängig von ihrem Standort oder ihrer aktuellen Situation problemlos teilnehmen können, oft auch kurzfristig. Die einmal jährlich stattfindende herkömmliche Präsenzveranstaltung hingegen ist langfristig terminiert und oft auch schlecht besucht.

Ein weiterer wichtiger Aspekt ist Inklusion. Virtuelle Eigentümerversammlungen ermöglichen die Teilnahme von Bevölkerungsgruppen, die mobilitätseingeschränkt sind, im Urlaub weilen oder aufgrund anderer Gründe bisher nicht an der Präsenzversammlung teilnehmen konnten oder wollten. Auch für viele Ferienwohnungsbesitzer ist die virtuelle Versammlungsform ein Anreiz.

Darüber hinaus sind virtuelle Versammlungen äußerst effizient, wenn es darum geht, dringende und zeitnahe Beschlüsse zu fassen, beispielsweise im Zusammenhang mit Zuschussprogrammen für Sanierungsmaßnahmen. Diese Programme werden oft nach dem „Windhund-Prinzip“ vergeben und WEG gehen meist leer aus.

Portrait von Martin Kaßler, Foto: Die Hoffotografen

Über Martin Kaßler

Der Geschichts- und Politikwissenschaftler war u. a. Büroleiter und Fraktionsreferent beim Deutschen Bundestag, bevor er in die Verbandswelt wechselte. Martin Kaßler verantwortete in Verbänden der Medienwirtschaft und der Verkehrsbranche die Bereiche Kommunikation, Marketing und Public Affairs. Seit Ende 2010 ist er Geschäftsführer beim Verband der Immobilienverwalter Deutschland (VDIV Deutschland) und der VDIV Management GmbH.
(Foto: Die Hoffotografen)

Wie ist der aktuelle Stand der Gesetzgebung bezüglich virtueller Eigentümerversammlungen? Wann rechnen Sie mit einer Einführung? Was muss noch geklärt werden?

Seit Mai liegt ein Referentenentwurf vor, der am 13. September vom Bundeskabinett beschlossen wurde. Nun wird der Deutsche Bundestag den Entwurf in den nächsten Wochen abschließend beraten.

Wo sehen Sie aktuell noch Probleme bei der Umsetzung in der Praxis?

Es ist notwendig, dass alle Eigentümer an einem Strang ziehen und sich nicht den technischen Möglichkeiten verschließen. Die Akzeptanz und Bereitschaft sich auf virtuelle Eigentümerversammlungen einzulassen sind mitunter noch different. Die Verwaltungen müssen die Herausforderung meistern, die Eigentümer vorab gut zu informieren: Wie wähle ich mich ein? Wie funktioniert die Abstimmung? Was passiert, wen die Internetverbindung unterbrochen ist?

Ein häufig geäußertes Vorurteil im Zusammenhang mit der Nutzung digitaler Technologien betrifft die Unerfahrenheit älterer Menschen im Umgang damit. Wie sehen Sie dieses Argument in Bezug auf die Teilnahme an virtuellen Eigentümerversammlungen?

Die Aussage, dass ältere Menschen wenig oder schlechter elektronisch kommunizieren als jüngere Menschen, ist nicht belegt. Die gesetzgeberischen Maßnahmen während der Corona-Pandemie haben den Großteil der Gesellschaft im Umgang mit elektronischen Kommunikationsmitteln vertraut gemacht. Das gilt für alle Altersklassen, Bildungsgruppen und sowohl für die private als auch die berufliche Umgebung. Ältere Menschen nutzen Streamingdienste, digitale Geräte und Videokonferenz-Systeme beispiellos. Der Schub an Digitalisierung erfasst nahezu alle Bereiche des Lebens. Zu nennen ist der Bildungssektor und die Justiz, wo Videoverhandlungen vor Gericht ebenfalls zum Standard werden. Und auch – was in diesem Zusammenhang besonders von Interesse ist – in rechtsfähigen Verbänden, wie der Aktiengesellschaft, dem eingetragenen Verein oder Genossenschaften.

Welche Rolle hat die COVID-19-Pandemie bei der Einführung virtueller Versammlungen in Wohnungseigentümergemeinschaften gespielt?

Die Pandemie hat zweifellos einen signifikanten Einfluss auf die Forderung nach Einführung virtueller Eigentümerversammlungen gehabt. Durch die Kontaktbeschränkungen konnten viele Präsenzveranstaltungen nicht wie gewohnt stattfinden, was dazu führte, dass viele Maßnahmen und Entscheidungen der Eigentümergemeinschaften aufgeschoben wurden.

In dieser Zeit sind der Digitalisierungsgrad und die Nutzung hybrider Eigentümerversammlungen stark angestiegen. Die Notwendigkeit, Dinge „aus der Ferne“ zu bearbeiten, hat die Aufmerksamkeit auf die Möglichkeit virtueller Eigentümerversammlungen gelenkt. Sowohl Verwalter als auch Eigentümer haben erkannt, dass dies eine praktikable Alternative ist, um wichtige Entscheidungen zu treffen und eine effiziente Verwaltung von Wohnungseigentümergemeinschaften aufrechtzuerhalten.

Über den VDIV

Der Verband der Immobilienverwalter Deutschland e. V. ist die Interessenvertretung professioneller Immobilienverwaltungen in Deutschland. Als Spitzenverband der Branche setzt sich der Verband für die Belange von Immobilienverwaltungen ein. Der VDIV Deutschland fordert und fördert zeitgemäße politische und wirtschaftliche Rahmenbedingungen, eine nachhaltige Professionalisierung der Branche und neue betriebswirtschaftliche Perspektiven. Der VDIV ist zentrale Anlaufstelle bei gesetzlichen, technischen, kaufmännischen und berufspolitischen Themen. Den Landesverbänden des VDIV sind inzwischen mehr als 3.600 Mitglieder angeschlossen, diese verwalten treuhänderisch etwa 8,2 Millionen Eigentums- und Mietwohnungen.

Welche rechtlichen Aspekte und Regelungen sind bei der Einführung virtueller Versammlungen zu beachten?

Grundsätzlich sollten alle rechtlichen Vorgaben und Regelungen, die für Präsenzveranstaltungen gelten, auch für virtuelle Versammlungen beachtet werden, um sicherzustellen, dass alle Beschlüsse rechtsgültig sind und die Interessen der Eigentümer angemessen berücksichtigt werden. Ergänzend kommt hinzu, dass technische Voraussetzungen wie digitale Abstimmungstools verständlich sind und funktionieren.

Welche Erfahrungen haben Immobilienverwaltungen bisher mit virtuellen Versammlungen gemacht? Nutzt bereits ein höherer Anteil der Immobilienverwalter virtuelle Versammlungen statt Präsenzterminen?

Die Erfahrungen mit virtuellen Versammlungen sind positiv. Während hybride Eigentümerversammlungen aufgrund von Mehrkosten für Personal und Organisation weniger Anklang beim Eigentümer finden, wurde die Durchführung rein virtueller Versammlungen begrüßt. Diese Option bietet eine erhebliche Zeitersparnis für alle Beteiligten, ermöglicht die Nutzung digitaler Abstimmungstools und beschleunigt die Protokollführung. Zudem erwarten wir ist eine höhere Teilnehmerquote. Tatsächlich empfanden 85 Prozent der Immobilienverwaltungen, die virtuelle Formate genutzt haben, diese als vorteilhaft, da mehr Eigentümer als vorher die Beschlüsse mittragen.

Gibt es bereits Empfehlungen oder bewährte Praktiken für die Durchführung erfolgreicher virtueller Versammlungen?

Ja, einige bewährte Praktiken sind wichtig. Erstens sollte das Personal geschult werden, da eine virtuelle Kommunikation anders verläuft. Zweitens ist es ratsam, die Versammlung von der Immobilienverwaltung aus zu hosten, um technische Stabilität sicherzustellen. Und schließlich sollte ein Leitfaden für den Ablauf der Versammlung an alle Teilnehmer vorab verschickt werden, um eine strukturierte und gut vorbereitete Durchführung zu gewährleisten.

Inwiefern können virtuelle Versammlungen die Entscheidungsfindung in Wohnungseigentümergemeinschaften beschleunigen?

Virtuelle Eigentümerversammlungen erleichtern die Entscheidungsfindung erheblich, insbesondere bei wichtigen Themen wie Sanierungsmaßnahmen. Dank ihrer hohen Flexibilität können solche Entscheidungen schneller und effektiver getroffen werden.

Darüber hinaus fördern virtuelle Eigentümerversammlungen eine stärkere Einbindung und Verantwortung der Eigentümer für ihre Immobilien. Sie ermöglichen basisdemokratische Beschlüsse, bei denen die Meinungen aller Eigentümer gehört werden.

Es ist jedoch wichtig zu betonen, dass die Durchführung virtueller Versammlungen nur eine zusätzliche Option ist. Erst bei einer Zustimmung von drei Viertel aller abgegebenen Stimmen kann sie zur Anwendung kommen. Eigentümer, die dann verhindert sind, können wie bisher auch eine Vollmacht erteilen. Wird eine derartige Mehrheit nicht erreicht, bleibt es bei der Präsenzversammlung oder einem Hybrid-Format.

Sebastian Brunner

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4 Kommentare

Regenbogen am 17.11.2023 12:16

Kein Hinweis auf die Kosten. Sehr einseitig. Bei uns kaum Interesse, da beim Kunden kein Interesse.

Wenige junge Eigentümer begeistern sich dafür. Ich gehe einmal davon aus, dass der Autor sich hier an Hausverwaltungsgrößen mit sehr hohem Bestand wendet. Warum wird nicht deutlicher auf den Datenschutz hingewiesen. Schwacher Artikel. Sorry.

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Manfred Güntsch am 06.11.2023 15:53

Virtuelle Eigentümerversammlungen: Vorteile und Herausforderungen

Dass der VDIV und ein Großteil seiner Mitglieder sich ausschließlich für Online Veranstaltungen aussprechen, ist aus deren Sicht verständlich.

Als in der Wohnanlage wohnender Eigentümer möchte ich aber die Präsenzveranstaltung nicht missen. Die Wohnungseigentümerversammlung darf nicht zu einer Geldanlegerveranstaltung für Kapitalanleger verkommen. Aus meiner Sicht darf es auch keine Dauervollmachten für Hausverwaltungen von Kapitalanlegern oder desinteressireten Wohnungseigentümern geben. Sollte das die Entwicklung in der Hausverwaltung von Wohnanlagen sein, dann haben in nicht wenigen Fällen die Teilnehmer aus der Wohnanlage kaum noch etwas zu bestimmen und bleiben der Versammlung fern. Dann würde wiederum der Satz Gültigkeit haben: „Der größte Feind am System Wohnungseigentümergemeinschaft sind die Wohnungseigentümer selbst.“

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Manfred Güntsch am 06.11.2023 15:53

Virtuelle Eigentümerversammlungen: Vorteile und Herausforderungen

Dass der VDIV und ein Großteil seiner Mitglieder sich ausschließlich für Online Veranstaltungen aussprechen, ist aus deren Sicht verständlich.

Als in der Wohnanlage wohnender Eigentümer möchte ich aber die Präsenzveranstaltung nicht missen. Die Wohnungseigentümerversammlung darf nicht zu einer Geldanlegerveranstaltung für Kapitalanleger verkommen. Aus meiner Sicht darf es auch keine Dauervollmachten für Hausverwaltungen von Kapitalanlegern oder desinteressireten Wohnungseigentümern geben. Sollte das die Entwicklung in der Hausverwaltung von Wohnanlagen sein, dann haben in nicht wenigen Fällen die Teilnehmer aus der Wohnanlage kaum noch etwas zu bestimmen und bleiben der Versammlung fern. Dann würde wiederum der Satz Gültigkeit haben: „Der größte Feind am System Wohnungseigentümergemeinschaft sind die Wohnungseigentümer selbst.“

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Manni am 06.11.2023 13:15

Ich glaube der Herr Kaßler hat noch nie in seinem Leben eine Eigentümerversammlung geleitet.

Der Mann hat von der Praxis keine Ahnung.

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